Rabat-Marrakesch
24.11.2018

In Rabat angekommen, quartiere ich mich im Razoli Sidi Fateh Hostel ein. Das Hostel ist frisch renoviert und ich scheine zumindest am ersten Tag der einzige Gast zu sein. Ich fühle mich wie ein Scheich, nicht nur dass die Gastgeberin mich fürstlich bewirtet, sondern auch wegen dem Interieur des Hostels. Die Räume der vier Stockwerke sind detailliert mit arabischen Mustern verziert. Die Fenster aus buntem Glas, die Diwans voller Kissen und selbst die Türrahmen sind noch verziert.
Aber das Beste ist, dass einer der Schlafsäle auf der Dachterrasse steht. Auf drei Seiten und mit einem Dach geschützt stehen die Betten praktisch unter freiem Himmel. Liegt man in einem der oberen Betten, hat man einen tollen Ausblick über die ganze Stadt, ohne Fenster dazwischen.
Und nachts ist es nicht einmal zu kalt.

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Ich nutze die zwei Tage in Rabat um endlich mal die Webseite ordentlich zu aktualisieren. Die Gastgeberin fragt mich ob ich ein paar Fotos machen will für den Onlineauftritt des Hostels. Mach ich doch gerne. Hatte ich sowieso vor.
Nach Rabat geht es nach Casablanca. Die Strasse führt direkt an der Küste entlang und ich kann ordentlich Strecke machen. Ich hole einen anderen Fahrradfahrer ein. Colin aus Kanada. Wir waren uns zwischen Fes und Moulay Idriss schon einmal kurz begegnet. Wenn sich Biker treffen, halten sie immer an und wenn man in die gleiche Richtung fährt, fährt man zusammen. Das ist so ein ungeschriebenes Gesetz.
Wir kommen gut miteinander aus. Erzählen einander Geschichten. Und wir spielen ein Spiel.
Jeder Hundeangriff gibt einen Punkt für die Hunde. Jeder tote Hund am Strassenrand einen Punkt für mich. In Marrakesch steht es übrigens 7 zu 5 für mich. Klingt vielleicht makaber aber nach dem zweiten Hundeangriff mag man schlicht und einfach keine Hunde mehr. Das wird dir jeder Biker bestätigen.
Wir treffen uns mit Gina, die ich in Madrid kennengelernt hatte und Essen mit ihren Freunden zu Mittag.
Wieder auf der Strasse fahren wir bis kurz vor Casablanca, übernachten und fahren dann den Rest in die Stadt hinein.
Casablanca selbst ist eine hässliche Stadt, mehr funktionell als ästhetisch, alte Fassaden, zu viel Verkehr, Containertransport, viele Menschen, ein paar Palmen.
Es gibt nur zwei Attraktionen. Ricks Café, ein Nachbau aus dem Film Casablanca, der in Hollywood gedreht wurde und die grosse Moschee, die auf dem Meer errichtet wurde.
Ich und Colin besuchen Ricks Café. Am Eingang werden uns die Kameras von adrett gekleideten Kellnern abgenommen. Meine Gopro halte ich in der Hand. Wir setzen uns an die Bar, trinken Bier und ich versuche heimlich zu filmen. Den Bartender stört das nicht, aber der Kassierer merkt es und stört sich daran. Ich entschuldige mich und versuche das Video wieder zu löschen. Jedenfalls tue ich so als ob. Wäre zu schade um das Material.
Wir trinken unser Bier aus und fahren dann zu Collins Hostel, verabschieden uns und ich fahre weiter. Gegen Abend merke ich, dass mir ein grosser SUV folgt. Mit eingeschalteten Warnblinkern folgt mir der Schwarze Wagen. Polizei? Geheimdienst? Ich fahre vorsichtshalber raus. Der Wagen fährt an meine Seite. Der Fahrer trägt eine dunkle Sonnenbrille, so dass ich sein Gesicht nicht sehen kann. Aber er lächelt und winkt mir ich soll weiterfahren. Aha, er will mich eindeutig eskortieren. Auf einem ruhigen Strassenstück hält er dann vor mir an, steigt aus und hält mir eine Schachtel mit feinster Patisserie hin. Ich greife zu und es folgt der übliche Smalltalk. Woher ich komme, wohin ich gehe, wo ich schlafen werde. Ich ahne noch nicht, dass ich 5 Tage bei Sayd und seiner Familie verbringen werde, als ich die Einladung zum Übernachten annehme.
Sayd ist ein Mittfünfziger, hat sich selbständig gemacht und zum Manager hochgearbeitet. Er ist wie alle Marokkaner immer am Handy, selbst beim Autofahren. Aber er ist auch ein sehr grosszügiger Mann, nicht nur mir gegenüber. Auch den Bettlern an den Strassenkreuzungen gibt er immer was und unterhält sich mit jedem kameradschaftlich und auf Augenhöhe. Und er ist polygam, wie er mir voller Stolz erzählt. Er hat zwei Frauen, zwei Familien, zwei Häuser und wechselt immer zwischen den beiden.

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Wir haben eine tolle Zeit miteinander, verbringen die Zeit mal bei der einen, dann bei der anderen Familie oder bei der Familie seines Geschäftspartners. Ich erlebe wie bei Gebäck und Tee die Geburt von Sayds jüngster Tochter gefeiert wird, Esse Hähnchen, das im Garten in einem im Rasen vergrabenen Ofen gegart wurde, werde in einen Hammam mitgenommen, wo die Masseurin plötzlich oben ohne neben mir steht, kann viel traditionelles Essen probieren, werde auf Geschäftsfahrt mit dem Auto mitgenommen und erzähle den Leuten meine Geschichte.
Sayds Familie und ich werden zu Sayds Geschäftspartner zum Geburtsfest Mohammeds eingeladen. Die ganze Wohnung ist voll von Leuten. Es gibt Fleisch zu essen und dann eine riesige Schüssel voll von dünnen Spaghetti, die mit Mandelstücken, Zimt und Zucker bestreut wurden. Die Frauen essen getrennt von den Männern und machen die Küche. Das hat nicht viel mit fehlender Emanzipation zu tun. Die Männer arbeiten, die Frauen kochen und die Gesprächsthemen dieser zwei Gruppen sind natürlich auch komplett verschieden. Plötzlich beginnen die Frauen in der Küche mit Löffeln auf Kochtöpfen zu trommeln und eine junge Schwarze beginnt dazu zu tanzen. Ich bin natürlich sogleich am Filmen, dann verlagert sich das ganze Plötzlich ins Wohnzimmer, sämtliche Küchengeräte müssen als Trommeln herhalten und ehe ich mich versehe, werde ich auf die „Tanzfläche“ gezogen und soll tanzen. Na gut, ich will ja kein Spassverderber sein. Ich imitiere die Bewegungen der Schwarzen, und baue ein paar Michael Jackson Moves ein. Die Frauen und Männer rundherum haben offenbar riesen Spass mir zuzusehen. Ob ich mich gerade zum Affen mache oder die Frauen und Männer beeindrucke weiss ich nicht, Hauptsache ich hab Spass. Die anderen Männer sind leider zu schüchtern um mitzutanzen. Immer wieder werde ich zurück auf die Tanzfläche gezerrt. Ich bin dann ziemlich aus der Puste, als die Trommeln schliesslich aufhören.
Am nächsten Tag zeigt mir Sayd noch die Stadt und wir gehen zu einem Westafrikanischen Markt. Von getrocknetem Fisch bis zu Hautbleichemittel findet man hier alles. Sayd Spricht ein paar Schwarze an und fragt sie dutzende Fragen über die Sicherheit, Übernachtungsmöglichkeiten, und so weiter in Westafrika. Sie sind sehr freundlich, interessieren sich für meine Geschichte, beantworten alle Fragen mit Freude und helfen mir so einige Ungewissheiten zu beseitigen. Zum Beispiel, dass Senegal sicher ist, man aber immer bei Leuten schlafen soll wegen den wilden Tieren.
Damit hat mir Sayd wieder einmal einen grossen Gefallen getan.

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Am Nächsten Tag ist dann schon wieder der Abschied. Sayd eskortiert mich mit seinem Auto zur Strasse, die nach Marrakesch führt. Der Abschied ist lang und Sayd hat ein wenig Tränen in den Augen. Auch mir fällt der Abschied nicht leicht, wir sind inzwischen gute Freunde geworden und er hat sehr viel für mich getan.
Schlussendlich bin ich dann wieder auf der Strasse und fahre die nächsten zweieinhalb Tage 230km. Ich zelte auf dem Grundstück von einer Bauernfamilie, die mich zum Essen einlädt und wieder sind es selbst die Ärmsten, die immer noch einen Platz zum Zelten und eine Schüssel Suppe für mich haben.
In Marrakesch angekommen, begebe ich mich zu Pikala-Bikes. Eine Organisation die von einer Holländerin gegründet wurde und die vieles rund ums Fahrrad macht. Sie bilden Mechaniker aus, restaurieren und verkaufen Bikes, vermieten, bieten Touren an, organisieren Kunstförderung und schaffen eine Community für die Jungen Leute. Aber diese Geschichte werde ich separat erzählen.
Cycle well
Euer Joerg