Tarfaya-Dakhla
Wie die Wüste ist? Das lässt sich etwa so beschreiben:


Wir nehmen ein grosses, hellbraunes Blatt Papier, zerknüllen es und streichen es wieder glatt. Dann zeichnen wir mit einem sehr dünnen schwarzen Stift eine gerade Linie darüber. Das ist die Strasse. Jetzt nehmen wir zwei Handvoll Sand und Steinchen und streuen diese darüber. Wir hacken dann einen Bund Petersilie, verteilen das ganze über das Blatt Papier und schieben es in den Ofen, bis die Luft anfängt ein wenig zu flimmern. Und jetzt nehmen wir hunderte dieser Blätter und legen sie nebeneinander.
Und jetzt stellen wir uns einige Lastwagen, Personenbusse und Autos vor die darauf fahren. An den Rändern der Strasse liegt überall Müll und kaputte Autoreifen. Alle zehn Kilometer kommt ein Sendemast, alle 60km ein paar Häuser, immer Würfelförmig und meist in rosa.
Und jetzt sehen wir ein Fahrrad. Das Wetter ist sonnig, nicht zu warm, die Strasse perfekt asphaltiert, Musik erklingt aus einer der Fahrradtaschen.
Aber warum fährt dieses Fahrrad im Zickzack, wo die Strasse doch so schön eben und gerade ist? Und warum schreit der Fahrradfahrer so? Ist es etwa weil sein Gepäck zu schwer ist?
Oder weil er jemandem etwas sagen will über eine grosse Distanz.

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Nein, der Grund ist ein anderer.
Gegenwind; der schlimmste Feind des Fahrradfahrers. Er drückt mich zur Seite, runter von der Strasse, dann wieder von vorne, immer, stetig, ohne Ende. Er halbiert mein Tempo, es kostet mich dreimal so viel Kraft vorwärtszukommen. Er macht müde. Er macht mich wütend. Bei Jeder Böe muss ich wieder zurück auf den Asphalt lenken. Entgegenkommende Fahrzeuge stossen eine Luftwand vor sich her, die wie ein Faustschlag ins Gesicht ist. Die Turbulenzen die die Fahrzeuge erzeugen, die an mir vorbeifahren, schleudern mich hin und her. Ich hasse es.
Es geht schon den ganzen Tag so, seit 80km schon.
Ich hatte mich heute Morgen noch von Jakob, meinem Mitfahrer verabschiedet. Er hatte alte Freunde wiedergefunden und ist mit denen weitergezogen. Gestern hatten wir bei einem Fischer übernachtet, der uns auch noch extra Fische zum Nachtessen gebraten hatte.
Heute bin ich wieder allein. Noch zwanzig Kilometer bis nach Laayoune.
Ich mache kaum halt, es ist schon spät und ich will vor Sonnenuntergang dort sein. Also pausenlos weiter.
Kraftlos erreiche ich Laayoune. Es braucht ein wenig bis ich ein Hotel finde und nach der Dusche, habe ich Hunger, ich hatte kaum etwas gegessen. Ich setze mich in ein Restaurant und bestelle ein ganzes Hähnchen mit Salat und allem drum und dran. Eine Strassenkatze bettelt mich an. Ich gebe ihr ein Stück. Und esse weiter. Miau. Ich gebe ihr ein Stück und esse weiter. Miau, diesmal mit Pfote auf meinem Bein. Ich gebe ihr ein Stück von der Hühnerleber, die ich sowieso nicht mag und esse weiter. Miau, wieder mit Pfote. Ich gebe ihr ein Stück Leber. Miau. Und esse weiter.
Nach dem Essen geht’s mir wieder gut. Diese Nacht schlafe ich tief.

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Die nächsten drei Tage sind die Hölle. Der Gegenwind hört nicht auf und schon morgens verlassen mich meine Kräfte, sobald ich nur den Wind spüre. Aber aufgeben ist keine Option. Ich fahre weiter.
Abends versuche ich dann jeweils wild zu campen. Nix da! Gendarmerie und Marine würden mich niemals an einem unsicheren Ort schlafen lassen. Mal campe ich neben einem Gendarmenposten, dann bin ich im Hotel, dann neben der Hütte eines Fischers. Hütte? Nein, eher ein Zelt aus Stoff, wie wir es als Kinder im Wohnzimmer aufgebaut haben. Es ist irgendwie gemütlich da drin. Der wind kommt nicht durch. Nur eine Kerze auf dem Tischchen in der Mitte gibt Licht. Ein Becken zum Waschen, eine Gaskartusche, ein paar Vorräte. Und eine Matte mit Decken, worauf der Fischer schläft. Direkt neben der Steilküste am Meer.
Der Fischer hatte mich zum Tee eingeladen. Wir sitzen in seiner Hütte und essen ein wenig. Und wir reden. Er lebt hier vier Monate, dann wieder drei bei seiner Familie, dann wieder hier. Alle zehn Tage geht er in die nächste Stadt um Vorräte zu kaufen. Jetzt im Winter, sagte er, Fischt er nach Algen, die in der Plastikindustrie verwendet werden. Die Fische schlafen alle sagt er. Als ich ihn frage ob er seine Familie sehr vermisst, wird er ganz still. Offensichtlich tut er das.

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Am nächsten Morgen sehe ich ihn nochmal und wir trinken Tee, bevor er wieder aufs Meer hinaus geht. Ich schenke ihm zum Abschied eines der Fotos, die ich noch vom Anfang meiner Reise habe und verspreche ihm ein Bild auf Whatsapp zu schicken. Auch hier ist die Technik längst angekommen.
Der Tag beginnt mit wenig Wind, aber immer noch genug um mich kraftlos zu halten. Es wird besser, aber zu allem Übel sind die Strassen eine ganze Strecke lang sehr schlecht. Ich gebe Vollgas, als ich wieder auf gutem Asphalt bin. Endlich, kein Wind, keine schlechte Piste. Bumm, Kssssss, Bang.
Ich habe ein grosses Schlagloch übersehen. Eine Satteltasche hats heruntergerissen und mitgeschleift. Scheisse! Scheisse! Scheisse! Warum jetzt? Warum? Die Tasche hats arg erwischt, drei grosse Löcher an der Seite und die Aufhängung ist hinüber. Fuck! Wo soll ich hier Ersatzteile herkriegen, wie soll ich das Ding befestigen? Leute die anhalten wollen, um mir zu helfen scheuche ich weg. Allez!Alllez! Ich bin einfach nur wütend und verzweifelt.
Trotzdem ich nehme das Flickzeug hervor und mit den Kabelbindern die ich noch habe flicke ich die Aufhängung notdürftig. Keine mehr übrig für die gelbe Tasche. Das Kabel vom Fahrradschloss muss als Sicherung herhalten.

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Es funktioniert irgendwie. Und irgendwie schaffe ich nochmals 30km bis zur Tankstelle. Ich weiss von der Gendarmerie, dass ein Amerikaner mit dem Fahrrad vor mir ist. Und tatsächlich, in der Hütte der Gendarmen treffe ich ihn dann schliesslich. Long Story short. Er liebt Rock Musik, hat schon die ganze Welt mit dem Rad bereist und wir verstehen uns super, besonders als wir uns über die überbeschützenden Gendarmen ein wenig lustig machen. Noch lustiger als ein weiterer Gendarme in die Hütte kommt und sich wundert, was wir hier drin machen. Wir lachen. Offenbar hat ihn sein Kollege doch nicht darüber informiert. Aber nach kurzer Nachfrage zottelt er von dannen. Alles gut, Hauptsache die Touris sind sicher.
Die Sache mit der Satteltasche ist schnell gelöst. Einmal kurz im WhatsApp Chat der Biker nachfragen, und schon ist da einer, der mir eine Neue nach Nouakchott mitbringt. Ich liebe das Internet und Whatsapp.
Die nächsten Tage bis Dakhla vergehen wie im Fluge. Ich verstehe mich super mit Jorge, dem Ami. Er ist auch passionierter Fotograf und wir haben viel zu reden. Und Rückenwind. Und perfekten Asphalt. Und wir sehen wilde Dromedare. Und das Leben ist wieder schön.
Einmal machen wir halt in einem alten Hotel. Das spezielle daran ist, dass der Besitzer alle vorbeifahrenden Radfahrer zu sich einlädt. An den Wänden des ansonsten Leeren Hotels findet man ihre Signaturen und Logos. Manche sind Berühmtheiten unter den Fahrradfahrern. Cinecletta, Nikki, Cycle Tours, alles Namen die man kennt, teilweise auch persönlich aus dem WhatsApp Chat.
Und nun ist auch mein Logo an der Tür zum Schlafraum verewigt.

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Ein „Telefonbuch“ der Radfahrer, ist an die Wände gekritzelt. Im Eingangsbereich hängt sogar ein alter Boxsack und ich kann nicht umhin wieder mal eine Runde meine alten Thaiboxkombinationen auszuprobieren. Und zu allem drauf ist da noch eine freundliche, schwarze Frau, die frisches Brot backt. Sehr lecker.
Und es gibt noch ein Juwel in diesem „Hotel“. gegenüber auf der anderen Strassenseite findet sich eingemauert und hinter Schilf ein anderer Schatz verborgen. Eine heisse Quelle. Mitten in der Westsahara. Hier waschen wir uns mit dem kochend heissen Wasser, bis die Augen vom Schwefel zu tränen beginnen. Hauptsache duschen.
Nach einem harten Tag erreichen wir schliesslich Dakhla, die Stadt zwischen den Meeren, un hier gönnen wir uns eine Auszeit, feiern das neue Jahr und bereiten uns vor nach Mauretanien zu fahren.

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