Es ist der Morgen meiner Abreise. Ich bin noch leicht verkatert von gestern, vom Abschiedsfest. Irgendwie wollten mich alle nochmal besoffen sehen. Es gab Grill, und Salate und ich war überrascht, wie viele Leute gekommen waren. Sogar eine Torte mit Brüsten im Bikini hatten sie für mich organisiert…
Manche Leute konnten leider nicht mehr kommen, aber daran denke ich jetzt gerade nicht. Ich sitze vor dem Haus und verbringe noch die letzten Minuten mit meiner Familie. Dann kommt auch meine Filmcrew um meinen Abschied zu filmen. Meine Schwester hat noch alle Nachbarn zusammengetrommelt und dann geht alles ganz schnell. Ich verabschiede mich von allen einzeln, und schon bin ich auf dem Fahrrad. Meine Neffen springen mir noch hinterher, bis ich sie dann doch noch wieder nach Hause schicken muss. Sie sind leider noch zu jung, um zu verstehen, dass ihr Onkel Jörg drei Jahre lang weg sein wird, und dass Afrika sehr weit weg ist.
Dann bin ich auf der Strasse, eine Mischung aus Gefühlen begleitet mich; Vorfreude, Angst, Wehmut, Trauer, Hoffnung. Aber sobald ich einige Kilometer gefahren bin, kann ich das alles beiseite lassen und mich einfach aufs Fahren konzentrieren. Otto sitzt derweil auf seinem Platz auf dem Zelt und schaut sich die Gegend an.
Abends erreiche ich dann meine Grossmutter, meine Beine schmerzen längst nicht mehr so stark wie beim letzten Mal. Mein Onkel wohnt auch da und meine Patin und ihr Freund kommen auch noch zu Besuch.
Am nächsten Morgen klingelt es, als wir gerade beim Frühstück sitzen. Ich dachte es wäre mein Bruder, der auch nochmal vorbei kommen wollte. Aber es ist mein vater, der bei all dem Abschied nicht dabei sein konnte.
Ich bin verdammt froh ihn nochmal zu sehen und es dauert bis 11 Uhr, bis ich mich dann auch noch von allen, auch meinem Bruder, der auch noch gekommen ist verabschiede.
Der Abschied von meinem Vater schmerzt dabei fast am meisten. Er ist immer meine wichtigste Bezugsperson gewesen.P9030017

Abschied bei meiner Grossmutter

Ich fahre dann nach Rotkreuz zu meiner Schwester und ihrem Mann und meinem fünften Neffen, wo ich die Nacht und den Nächsten Vormittag verbringe. Auch bei diesem Abschied fliessen Tränen.
Gegen 14 Uhr bin ich dann schon in Luzern, wo ich Ingo, meinen Reisepartner für die nächsten 3 Wochen treffe.

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Ingo und ich in Luzern
Ingo sieht mit seinem Ziegenbärtchen, den Reiseklamotten und langen Haaren aus wie ein Langzeitstudent, ist aber Journalist und ein erfahrener Radfahrer.
Schnell merke ich, dass er nicht der Typ für Smalltalk ist, eine Eigenschaft, die uns noch einige gute Gespräche auf der Reise beschert.
Wir sehen uns also kurz die Stadt an und fahren dann los Richtung Sarnen, wo wir dann direkt am Sarnersee zelten. Das Wetter ist gut und wir sollten auch die nächsten drei Wochen keinen Regen haben.

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Zeltplatz in Sarnen
Am nächsten Tag geht es dann über den Brünigpass. Ingo hat wesentlich weniger Gepäck als ich und ist immer am Vorausfahren, er hat schliesslich auch die Karte. Während ich im Zickzack fahre, um überhaupt die Steigungen zu schaffen, fährt er alles locker hoch. Aber meine Beine sind gut trainiert und so schaffen wir in den drei Wochen doch immerhin einen Schnitt von 72km/Tag.
Kurz vor Guttannen dann das Unglück. Ingo hat einen Rahmenbruch. Ohne lange zu überlegen, nehme ich meinen Rollgabelschlüssel und mache ihn mit zwei Kabelbindern am Rahmen fest, das hält bis Guttannen, wo wir nicht nur das Glück haben, den einzigen Schweisser im Dorf zu finden.

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Auch lädt uns seine Familie zum Abendessen ein, es gibt eine Dusche und wir werden sogar noch zum Frühstück im Hotel eingeladen.
Mit guten Erinnerungen an Guttannen und mit dem Versprechen mich mal wieder zu melden, fahren wir dann los, auf den Grimselpass.
Der Pass kostet mich all meine Kraft, es ist sehr steil und der Pass scheint kein Ende zu nehmen. Ich bin immer froh, wenn keine anderen Fahrzeuge unterwegs sind, so dass ich im Zickzack die Steigung besser bewältigen kann. Ich bin bereits schon am unteren Ende meiner Kräfte, als es auf dem letzten Drittel auch noch anfängt zu nieseln. Aber Regensachen nützen jetzt auch nicht mehr, ich wäre auch damit noch völlig nass vom Schwitzen.
Doch schliesslich erreiche ich dann doch noch frierend und mit steifen Fingern, weil ich mich so an den Lenker gekrallt hatte, die Passhöhe. Einem japanischen Touristen fallen fast die Augen aus, als er sieht, wieviel Gepäck ich da hochgeschleppt habe.
Wir ziehen uns hinter einer Hütte um und gehen dann erst mal im Restaurant eine Suppe essen.
Wieder bei Kräften fahren wir noch bis Mörel, wo wir dann einen Ruhetag einlegen, bevor wir uns auf den Simplon begeben.

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Der ist relativ einfach zu fahren, meine Beine mögen wieder und er ist auch längst nicht so steil wie der Grimsel. So kommen wir entspannt oben an, wo bereits meine Filmcrew wartet.

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Nach dem Fotoshooting zelten wir dann in Simplondorf auf einem Hügel, während meine Crew bestehend aus meiner Tante und ihrem Freund im Hotel übernachten, wo wir dann zu Abend essen.
Aber vorher müssen wir noch den Fahrradständer ersetzen, der mir bereits am Anfang vom Simplon gebrochen ist.
Zu Abend gibt es dann ein letztes Mal noch Rösti und zum Dessert bestellt Jürg, der Freund meiner Tante auch noch echtes Walliser Raclette, welches echt gut schmeckt… …Das letzte Mahl in der Schweiz.
Am Morgen sind wir dann bald los und am Zoll verabschiede ich mich auch von den Beiden, ab jetzt bin ich frei und es wird lang, lange dauern, bis ich wieder zurück bin. Ein wenig wehmütig ist mir schon dabei.
Die folgenden Wochen sind immer ungefähr gleich. Morgens um 8 aufstehen, packen, zum Frühstück gibt’s Müsli mit Wasser (hatte kein Milchpulver mehr), Zelt abbauen. Fahren bis 1100, einkaufen, weiterfahren. Um 1300 dann Mittag mit Brot und Käse und Salami. Abends dann Zeltplatz suchen, Zelt aufstellen Abendessen kochen. Und sobald es dunkel ist, gehe ich auch schon wieder schlafen.
Wir zelten an allen Möglichen Orten, am liebsten an Gewässern irgendwas findet sich immer, wir campen auch schon mal Mitten auf einem Wanderweg, wenns sein muss. Baden und waschen, alles in der Natur. Und natürlich Mücken. 54 Stiche an den Beinen hab ich an einem Tag gezählt…
Ingo und ich fahren durch Italien, immer warmes Wetter, durch Kastanienwälder, über Pässe, Schluchten, kleine Dörfer, die irgendwie in ganz Italien gleich auszusehen scheinen bis wir schliesslich den Pass nach Frankreich, den Colle dela Lombarde erreichen.

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